"Wer will fleissige Handwerker sehn" – Handwerkerepoche in der 2./3. Klasse

Schon an Fasnacht wurde das neue Epochenthema eingeläutet: Unter dem Motto „Handwerker“ feierten die Schüler*innen der 2. und 3. Klasse am „Schmotzige Dunschtig“ im Gewand von Bäcker*in, Schornsteinfeger*in, Maler*in oder Zimmermann und -frau – ein kleiner Vorgeschmack auf das, was die Kinder nach den Ferien mit der Handwerkerepoche erwartete.


Anfang März starteten die Zweit- und Drittklässler*innen mit ihrer Lehrerin Yvonne Wohlfeld nach Bischofszell zu Kreiselmacher Manfred Kreis und Holzherzmacherin Mirta Kreis (www.kreisel.ch) – der erste „Handwerkerbesuch“ von insgesamt fünf, die sie bis Mai noch unternehmen sollten. In Bischofszell drehte sich alles ums Holz. So bereits die Aufteilung der Gruppen, in denen die Schüler*innen an diesem Tag unterwegs waren: Jeder bekam zu Beginn einen Holzabschnitt verschiedener Hölzer in die Hand, alle Kinder mit derselben Holzart waren im Anschluss in einer Gruppe. Dem Kennenlernen der unterschiedlichen Hölzer, dem Ausgangsmaterial für sämtliche Produkte von Manfred und Mirta Kreis, wurde viel Aufmerksamkeit geschenkt. In einem Quiz sollte anschliessend einer Auswahl fertiger Holzkreisel den jeweiligen Holzarten zugeordnet werden. Wer gut aufgepasst hatte, dem fiel es leicht. Damit aus den Holzstücken schliesslich die schönen Kreisel, Herzen, Schalen, Strickringe und mehr in der Ausstellung werden, braucht es Werkzeuge und Maschinen. Sägen, Dreh- und Schleifmaschinen wurden erklärt und vorgeführt. Und natürlich durften die Schüler*innen zusehen, wie ein Kreisel gedrechselt wird, und diesen als Klassengeschenk mit in die Schule nehmen.

Teiglinge fliegen durch die Luft

Wie mit noch relativ viel Handarbeit heute ein Gipfeli oder Brot entsteht, konnte die 2./3. Klasse in der Biobäckerei Bio-Beck Lehmann in Lanterswil (lehmann-holzofenbeck.ch) erleben. Bei einer Führung durch die Backstube (natürlich jedes Kind mit eigener Haube über den Haaren) beeindruckten die unterschiedlichen Maschinen: Eine riesige Rührmaschine, mit der richtig viel Teig mit grossen Haken auf einmal gerührt wurde, oder die Öfen, in die ganze Wagen mit Tabletts voller Brote und Brötchen geschoben werden können. Wie gekonnt, die Bäcker und Bäckerinnen ihre Brote in Form brachten und die Teiglinge durch die Luft flogen und natürlich am vorgeschriebenen Platz landeten, löste grosse Bewunderung aus. Am Schluss gab es für die Schüler*innen noch Gipfeli und Sirup und fröhliche Gesichter auf der Rückfahrt zur Schule.


Bereits nach zwei Besuchen in ganz unterschiedlichen Betrieben war klar, „dass die Kinder sehr durch die Ausflüge angesprochen wurden. Es war toll, mit welcher Freude sie direkt darauf einstiegen“, so Yvonne Wohlfeld – ein grosser Aufforderungscharakter also! Und was steht noch hinter der Handwerkerepoche, die Bestandteil des Lehrplans der 3. Klasse an der Steiner-Schule ist?

Rubikon – Zeit des Umbruchs

Für die Zeit um das neunte Lebensjahr (in der Regel 3. Klasse) wird in der Waldorfpädagogik oft das Bild vom „Überschreiten des Rubikon“ verwendet. Es dient hier als Metapher für den Schritt in eine neue Lebensphase (genau nachlesen können Sie die historischen Ursprünge des Begriffs auf der Internetseite Waldorf-Ideen-Pool hier). Damit ist gemeint, dass das Kind nun selbständiger wird und die kleinkindliche Geborgenheit in der Welt verlässt. Wo das kleine Kind noch alles mit Händen (be-)greifen will und versucht den Erwachsenen alles nachzumachen, geht das Kind nach dem „Rubikon“ etwas mehr auf Distanz und versucht die Zusammenhänge zu verstehen. Es erlebt sich nicht mehr als vereint mit der Welt, sondern begreift immer mehr, dass es als Individuum der Welt beobachtend gegenüber steht und immer mehr auch zum selbstständig Handelnden wird. Das geht natürlich auch mit dem Hinterfragen der Erzieher*innen, der Eltern oder anderen nahestehenden Personen einher. „Damit sind ausserdem Ängste und Unsicherheiten verbunden. Oft merkt man das auch Zuhause zum Beispiel daran, dass die Kinder schlechter schlafen oder mehr Nähe brauchen“, sagt Yvonne Wohlfeld.

 

Selbstvertrauen und Sicherheit gewinnen

Dieser wichtige Entwicklungsschritt im Leben der ungefähr 9-jährigen Schüler*innen bildet den Ausgangspunkt für den Unterrichtsstoff wie die Handwerker- und die sich daran anschliessende Hausbauepoche in der 3. Klasse. „Die Schüler und Schülerinnen sollen erfahren, was es heisst, etwas mitzugestalten und selbst tätig zu werden. Damit schafft man einen guten Boden für das, was noch im Leben auf die Kinder zukommt. Das Selbstvertrauen, das aus der Erkenntnis kommt 'Ich kann etwas schaffen!', gibt ihnen Sicherheit in dieser Lebensphase“, erklärt Yvonne Wohlfeld. „Die Gewerke sollten daher möglichst ursprünglich sein, damit auch wirklich nachvollzogen werden kann, woher die Dinge stammen und welche Arbeit darin steckt.“

Selbst etwas tun

Wie wichtig das Selbst-Tätigsein für die Schüler*innen ist, zeigte sich an den Besuchen in der Töpferei „Esther Bleiker Keramik“ (www.eb-keramik.ch) in Rorschach und in der Schmiede bei Martin Echterhoff in der Freien Waldorfschule Wahlwies (www.waldorfschule-wahlwies.de). „Beim Töpfern und beim Schmied hat es mir am besten gefallen, weil man da etwas selber machen konnte!“, sagt Sverre, 3. Klasse. Mit dem Selbermachen ging es in der Töpferei direkt los: Eine rohe Steingutschale diente als Form, in welche die Nachwuchskeramiker*innen Schicht für Schicht Ton mit den Händen hineinstrichen. So entstand eine eigene kleine Schale, die am Ende vorsichtig herausgelöst werden konnte und mit Keramikfarben bemalt wurde. Gleichzeitig durfte immer ein Schüler/ eine Schülerin mit Esther Bleiker an der Töpferscheibe eine eigene Vase formen. Am Ende hatten alle sogar zwei selbst getöpferte Schmuckstücke, auf die sie sehr stolz waren. Einzigster Wermutstropfen: Die Schüler*innen konnten ihre Arbeiten nicht direkt mit nach Hause nehmen, weil zum Teil noch die Glasur fehlte und die Töpfereien gebrannt werden mussten.

Feuriger Einsatz

Selbermachen stand auch beim Ausflug nach Wahlwies in die Werkstatt von Schmied Martin Echterhoff im Mittelpunkt. Natürlich erst im Anschluss an eine Einführung – schliesslich ist in einer Schmiede auch Arbeitsschutz gefragt. Mit Schutzbrille, Schürze und Schuhen ausgerüstet durften die Kinder sich frei bewegen und als Projekt ein Messer schmieden. „Zuerst war ich etwas unsicher mit dem Feuer“, gibt Yvonne Wohlfeld zu. „Aber kaum waren wir in der Werkstatt, waren alle ruhig und konzentriert und haben sich mit dem Material beschäftigt. Es hat mich richtig fasziniert, wie super die Kinder das gemacht haben!“ Zahlreiche kleine Arbeitsschritte führten die Schüler*innen zu ihrem Messer, in das sie zum Schluss sogar ihren Namen eingravieren durften. Das abschliessende Schleifen und Wachsen der Messer übernahm Martin Echterhoff. Selbstverständlich gut verpackt nahmen Yvonne Wohlfeld und ihre Schüler*innen die frisch geschmiedeten Messer mit nach Hause – und nicht nur das, sondern auch einen wertvollen Tipp: „Wenn man sich verbrennt, soll man noch bevor man überhaupt ausschreit, Spucke auf die Stelle machen! Bis man erst am Wasserhahn ist, ist es schon zu spät. Und Spucke hat man immer dabei!“ Zum Glück musste dieser Ratschlag vor Ort nur ein Mal zum Einsatz kommen.

Aus der Schuhmanufaktur in die Schule

Anfang Mai war es bereits Zeit für den letzten Ausflug der Handwerkerepoche in die kleine Schweizer Schuhmanufaktur Yép (www.yepstore.ch) in Weinfelden. Aus der Schuhmanufaktur nahmen die Schüler*innen nicht nur neues Wissen von Yép-Inhaberin Ena Ringeli über die Arbeitsschritte vom Leder zum Schuh mit, sondern auch geschenkte Lederreste, die sie in der Schule zu Muttertagsgeschenken weiterverarbeiteten.

So war nicht nur bei den Ausflügen das Thema „Handwerker“ bestimmend, auch in der Schule ging es handwerklich weiter, z.B. mit Lederverarbeitung, Brötchen backen oder der Fertigung eines eigenen Strickrings. Parallel führten die Kinder ein „Lehrlingsheft“. Darin trugen sie alle Besuche ein, schrieben dazu Gedichte und Lieder auf, malten Bilder. Und als endlich die Töpfersachen aus Rorschach in der Schule ankamen, war es, sagt Yvonne Wohlfeld, „wie ein richtiger Festtag. Alle haben gestrahlt und waren so stolz darauf, was sie selbst gemacht hatten!“

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Text: Anika Mahler (Gruppe für Öffentlichkeitsarbeit)
Fotos: Yvonne Wohlfeld (Klassenlehrerin 2./3. Klasse), Eltern der 2. und 3. Klasse

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